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Die grüne Volkspartei

Club of PoliticsAm Sonntag trat Deutschland in eine neue Epoche ein und kaum einer hat es gemerkt. Es ist nicht allein die Tatsache, dass die Grüne Partei zum ersten Mal einen Ministerpräsidenten stellt. Es ist der Aspekt des wie sie es geschafft haben: Wie die Grünen seit den 80ern und im Endspurt seit September 2009 von einer Art APO über eine Partei auf FDP-Größe inzwischen zu einem direkten Konkurrenten der Union und der SPD herangewachsen sind. Das ist ein bisher in der Bundesrepublik Deutschland einmaliges Beispiel der möglichen Veränderung der früher so starren Parteienlandschaft der Bundesrepublik Deutschland.

Die Stärke der Grünen Partei bedeutet parallel dazu auch eine Veränderung der Gesellschaft Deutschlands. Es ist vor allem eine Veränderung in den Köpfen der Menschen dieses Landes. Diese Deutschen haben sich in den letzten 30 Jahren enorm verändert und entwickelt.

Die Grünen haben diese Veränderung mitgetragen, denn auch aus ihrer alten Mitgliederbasis wurde die Veränderung mitgetragen. Einstmals galten die Grünen als linke radikale Partei. Junge Leute würden aufgewiegelt werden, um sich der Staatsmacht entgegen zu werfen. Im Kampf um Atomraketen, Kernkraft und Endlager opferten die Menschen ihre Freizeit und ihre Gesundheit. Der Staat damals als Schwarz-Gelbe Koalition war nicht zimperlich mit den Waffen und setzte neben mit Tränengas angereicherten Wasserkanonen auch gerne Schlagstöcke ein. Nichts anderes tat vor kurzem der jetzt entwählte Mappus im Schwabenländle. Diese Grüne Generation ist erwachsen geworden und führt heute größtenteils ein bürgerliches Leben in Bereich der Mittelschicht Deutschlands. Aber ihre Proteste vergessen sie nicht, das ist die Erklärung der aktuellen Protestmärsche mit Kind und Kegel. Der normale Bürger steht auf der Straße und lässt jede Form von Gehorsam vermissen.

Die Grünen als außerparlamentarische Partei galten in früher Zeit als verlängerter Arm der Kommunisten oder gar der SED des Unrechtsstaats DDR. Und in der Tat: Sowohl Kommunisten als auch SEDler versuchten damals, die Grünen zu unterwandern. Denn ein Kommunist begreift Protest gegen den Staat immer als Umsturz, Revolution und Exitus. Denn innerhalb eines kommunistischen Systems gibt es per definitionem keinen Protest: Es sei ja alles vom Volke und Arbeiter aus so gewollt. Doch diese subversiven roten Variationen eines Agent Provocateur fanden nie wirklich eine Basis für eine Unterwanderung. So wuchs Grün in die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland hinein.

Club of PoliticsDurch das Erwachsenwerden dieser sogenannten Protestgeneration hat sich auch ihre Sicht geändert. Die fast schon lustvolle Zuneigung zum Protest hat sich erhalten und so ist es zu erklären, warum das heutige Volk nicht mehr nur zusieht, wie die Politiker der großen etablierten Parteien CDU, CSU und SPD (mit der FDP als Erfüllungsgehilfe) ihren Kopf durchsetzen. Das stellt natürlich die brachiale Art der Lobbypolitik der Alteingesessenen in Frage. Ohne Lobby geht es natürlich nicht und dort hatten die Grünen anfänglich ihren Nachholbedarf. Doch inzwischen erkennt man, dass es auch positive Lobbyarbeit gibt. Kurz gesagt: Das Volk organisiert sich seine Lobby selber und auf dieser Schiene findet man unter anderem auch die Grünen als parteipolitische Organisation.

Das sogar in der Wirtschaft ein Umdenken beim Umgang mit den Grünen geschieht, sah man vor kurzem bei dem Umgang des BDI mit Wirtschaftsminister Brüderle: Brüderle behauptete vor den Mitgliedern des BDI, die Anti-Atompolitik der Merkel würde nach dem Wahlkampf wieder zurückgenommen werden. Unsere Väter nennen das „Realpolitik“. Es entspricht dem Verständnis der alten Bundesrepublik, dass man sich arrangiert, ein wenig euphemisiert (nicht etwa lügt) und über derbe Lobbyarbeit gegenseitig unterstützt. Dass nun ausgerechnet der BDI dieses Brüderle-Zitat versehentlich aber zeitgerecht vor der Wahl publik machte, ist ein weiteres Zeichen: Auch im BDI rechnet man mit einem Tot der alten Strukturen – zumindest mit einem möglichst schnellen Ableben der alten Regierung. So gesehen hilft die alte Architektur bei dem Wechsel in die nächste Epoche der politischen Strukturen.

Aber es ist nicht alleine die Liebe zum Protest, der die Gesellschaft verändern ließ. Es ist die Mündigkeit, die der Bürger erreicht hat. Man sagt nicht einfach mehr Ja zu allem, was die Politik vorschlägt. Auch die Grünen mussten dies in Hamburg begreifen. Auch jene resignierende Aussage, dass man eh nichts verändern könne, wird immer mehr aus den Hirnen der Gesellschaft verdrängt. Wurde doch dem Bürger in den 1980ern und 1990ern geradezu fanatisch gelernt, sich im Beruf und privat durchzusetzen, so trägt diese Erziehung heute ungeahnte Früchte: Respekt vor der Obrigkeit ist auf ein Minimum gesunken, die Hemmschwelle gegen die Staatsgewalt als alleinige Deutungskraft ist gesunken. Dies ist übrigens auch in den Unternehmen zu spüren:

Galt ein Chef als unumstößliche Entscheidungsgewalt, so muss er sich heute gegenüber den Mitarbeitern vor seiner eigenen Fehlern schützen. Oder er lernt zu kooperieren, kann damit seine eigene Position stärken und auch das Unternehmen nach vorne bringen. Das Patriachat wurde zwar nicht abgeschafft, aber es ist ein Modell, das umgeben von Teamwork stark zurückgedrängt wird. Zentralistisches Management stirbt mit dem Wachstum eines Unternehmens. Der Mitarbeiter ist nicht nur alleine eine wertvolle Ressource sondern vor allem auch individuelles Mitglied des Teams.

Der gesellschaftliche Wandel in Deutschland, der auch die Grünen nach vorn gebracht hat, ist ein Beispiel für andere Länder der westlichen Welt. Zum Beispiel für die USA. Die USA waren lange Zeit das Modell aller Freiheiten und des schnellen Reichtums. Heute sind sie eine Nation, die wirtschaftlich und finanziell am Ende ist. Armut und Elend macht sich am Rande der Städte der USA breit. Das zynische Bild: Mexiko nutzt bald den Zaun in Kalifornien zum eigenen Schutz gegen arbeitslose Amerikaner. Qualitativ hat die Wirtschaft in den USA nichts zu bieten. Man hat abgewirtschaftet und sich hoch verschuldet. Tiernahrung und Elektroschrott sind die beiden US-Exportschlager, jeden Monat gibt die USA 90 Milliarden Dollar mehr aus als sie einnimmt. Dazu im Vergleich erscheint Deutschland als ein solides und konstantes Land mit hoher Qualität. Man kann es kaum glauben: Und ausgerechnet das wurde unter anderem über eine und mit einer Protestgeneration geschaffen.

Im Alltag des Jahres 2011 angekommen bedeutet diese gesellschaftliche Strukturänderung auch eine Veränderung der Parteienlandschaft. CDU, CSU und SPD haben eine grosse Schnittmenge mit den potentiellen Wählern der Grünen. Die SPD hat schon in der Vergangenheit mächtig Federn lassen müssen. Die SPD galt schon Anfang der 90er als erster Verlierer dieser Veränderung. Doch CDU und CSU werden laut den politischen Forschungen die nächsten sein, die sich gegen Abwanderer in Richtung Grün wehren müssen. Grün ist konservativer geworden. Sie müssen langsam damit leben, eine Volkspartei geworden zu sein.

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