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Deutschland im Wandel – Generation Protest

Michael StarkeDeutschlands Bürger lernen den Protest. Immer mehr schütteln die Politiker vor allem der Regierungsparteien die Köpfe: Unglaublich, was sich der deutsche Bürger da erlaubt. Das deutsche Volk – einst bekannt für Gehorsamkeit und stiller Hinnahme jeglicher Bonner und inzwischen Berliner Entscheidungen – maßt sich an, sich gegen fragwürdige Entscheidungen der Regierungen querzustellen. Stuttgart-21, Deutschlands Wiederbewaffnung durch Atomkraftwerke, Salzkammer Gorleben, Endlager Asse – der Bürger ist dabei. Familienausflüge, die früher ins Grüne unternommen wurden, finden neuerdings mitten ins Zentrum von Protest und Entscheidungen statt. Der deutsche Bürger sucht eine aktivere Rolle in der Demokratie.

Da staunte Mutti Merkel nicht schlecht, als sie mit ihren Jungens und den inzwischen einnickenden führenden Erfüllungsgehilfen der ehemals liberalen FDP die rechtlich fragwürdige Verlängerung der Laufzeiten für Atomstrom im Bundestag durchsetzte. Dass die Grünen protestieren, das war ja klar. Die Symbolik mit der schwarzen Kleidung mit gelben Kreuzen war hingegen neu. Auch der Protest von Greenpeace war zu erwarten – auch wenn er im Gegensatz zu früher stärker ausfiel. Früher hat man nur eine kleine gelbe Tonne vor den Bundestag gerollt. Kanzlerin Merkel hat das Volk unterschätzt. Sie, die sich ausgerufen hatte, die Kanzlerin aller Deutschen sein zu wollen, wird vom Volk nur noch geduldet. Respekt hat Angela Merkel gänzlich verloren. Ganz normale Bürger kommen und zeigen klar Flagge gegen unverständliche und unprofessionelle Entscheidungen der Politik. Es ist ein Phänomen, das einer Erklärung bedarf. Was ist in das deutsche Volk gefahren? Es sind ganz normale Bürger – keine jungen Wilden mit langen Haaren, denen man – wie es manche ältere lokale Hobbypolitiker gerne tun – vorwerfen könnte sie seien von den Russen bezahlt. Lachen sie nicht. Fragen sie mal bei sich ums Eck ältere Hobbypolitiker aus CDU, CSU und FDP. Alles bewiesen, dass das damals alles von den Russen bezahlt wurde. Es muss beruhigend sein, in alten Irrtümern, Lebenslügen und Vorurteilen die Welt zu erklären, um weiter darin glücklich leben zu können.

Willkommen zurück in der Generation Protest

Das Phänomen war im Prinzip vorhersehbar. Die Menschen der Generation der Friedensinitiative und Atomkraftgegner der 80er sind inzwischen erwachsen und älter geworden und haben Familien gegründet. Im Gegensatz zu den eher schnell erlahmten 68ern haben sie sich ihr Potential an Protest erhalten. Sie lassen sich nicht einfach von der Politik einschläfern, sondern wissen, dass der Druck der Straße schwer in den Mägen der Regierung liegt. Viele Themen haben sich nicht geändert. Wer meint, heute die Atomkraft leichter an das Volk bringen zu können, kalkuliert mit der Vergänglichkeit der Protestbewegung früherer Jahre. Eine Fehleinschätzung des – welch Ironie im Worte – bürgerlichen Lagers. Offenbar haben sich Union und FDP noch nicht gefragt, woher der Stimmenzuwachs der Grünen kommt. Mancher denkt noch, dass es sich um einen kurzen Oppositionseffekt handelt. Merkel, Westerwelle und Co haben nach wie vor die Zeichen der Zeit nicht richtig gedeutet. Die Gesellschaft hat sich in der jüngsten Vergangenheit verändert – das Volk ist im Wandel. Die Protestkinder der 80er sind erwachsen geworden. Und sie sind schlecht erzogen: Sie ducken nicht. Und die heutigen Jugendlichen sind recht ähnlich: Die jungen Leute werden zunehmend politisierter und sind natürlich ebenfalls relaxter erzogen als Generationen vorher.

Wehe dem, der das Volk reizt

Diesen Gruppen einfach ein Atomkraftwerk vor die Nase zu stellen oder gar einen völlig überteuerten Bahnhof zu schenken grenzt an einer Provokation der höheren Dreistigkeit. Die offiziellen Verkaufsargumente der Politik werden heute gnadenlos in den Online Medien schnell und breit unter das Volk gebracht. Diese Aussagen werden auseinandergerissen und die Wahrheit an das Licht geführt. Das Jammern der Politiker ist hingegen zu verstehen. Hat man doch mit einem Volk gerechnet, das nicht nachdenkt oder dann zumindest schnell vergisst. Die Geschwindigkeit von Medien wie das Internet (welches nicht erst seit gestern bekannt ist) ist selbst den Politikern in der 40er Altersklasse selten ein Begriff. Klar, den Internet Browser kann noch jeder starten. Sie sind nach wie vor Internet-Analphabeten auf brutaler Art und Weise. Dass das Volk inklusive deren Kinder so zunehmend empfindlich reagiert, war für das rechts-fernliberal-konservative Lager vollkommen unerwartet eingetreten. Protestierende sind Radikale. Unter dieser Prämisse war es aus Sicht von Mappus daher legitim normale Schulkinder, Eltern und alte Leute mit Wasserkanonen, Tränengas und Pfefferspray zu bombardieren.

Staatsgewalt stärkt den Bürgerprotest

Ein Demonstrant wird auf einem Auge für immer blind bleiben. Und sowas erleben wir in Deutschland – einer freiheitlichen liberalen Demokratie. Für die Führung der FDP als selbsternannte Bürgerrechtspartei ist die Handlung der Staatsgewalt die Sinndeutung der neuen Liberalität: Die Freiheit der Waffenwahl. Die offensichtlich gewaltbereiten Polizisten hatten ebenfalls ihren Spaß dabei, auf Befehl der Obrigkeit diese mit Chemie außer Gefecht gesetzten radikalen Bürger zu verprügeln. Wer weiss, mancher trifft sich vielleicht am Wochenende in der Ultraszene zur verabredeten Prügelschlacht wieder. Diese Symbole haben beim Volk erst recht das Protestpotential erhöht. Es zeigt: Diese Politiker haben nichts aus der Vergangenheit gelernt. Nun Gut. Mutti Merkel hat ja ihre heimatlichen Wurzeln in einer Region gehabt, in der schon das Schreiben von Gedichten oder Erzählen von Witzen als staatsfeindlich und subversiv galt. Bautzen stand als Wort nicht für die Stadt allein, sondern für das Gefängnis. Bautzen als das Endlager für Freiheitswünsche. Zum Lachen ging es in den Keller und der West-Radio hörende Nachbar wurde bei der Stasi angeschwärzt. Doch was ist mit den anderen Politikern, die jene 80er miterlebt haben und auf dem Westen Deutschlands kommen? Sie wagen gegen die Unionsführung keinen Widerspruch. Sie ducken. Wo waren jene in den politischen Protesten der 80er? Offenbar waren sie damals blind und taub. Keiner von ihnen hat heute aus der Geschichte der 80ern gelernt: Gerade die damalige Gewaltbereitschaft des Staats hat die Protestwelle in eine Trotzwelle umgewandelt. Der Staat versuchte die Proteste mit aller Kraft zu unterbinden und ermöglichte so die bundesweite Eskalation.

Stuttgart-21: Immobilienaufwertung aus der Steuerkasse

Und die Argumente der Protestierenden sind verständlich. In Stuttgart-21 werden mehr als 15 Milliarden Euro in den Grund versenkt. Dazu werden alte Bäume abgeholzt, als wenn es schon wieder Weihnachten wäre. Ohne Konzept und ohne Sinn geben sich Politiker einem Wahnwitz hin. Aber das ist ja kein Problem, weil ja das protestierende Volk dank der fleißigen Steuerzahlungen solche Projekte finanziert. Ein kleines aber interessantes Argument ist ja das neu entstehende grüne Herz Stuttgarts mit den vielen Wohnungen, die auf dem Bahngebiet angesiedelt werden sollen. Und so ergibt es zumindest lokal wieder einen Sinn. Da hat sich die Stuttgarter Wirtschaft ein schönes Geschenk auf Kosten der Steuerzahler gemacht. Hier werden Grundstücke zu sehr günstigen Preisen an ausgesuchte Klientel und Networker verkauft, die dann anschließend jene Immobilien für sehr teure und überhöhte Preise an den Mann bringen sollen. Banken sind natürlich auch dabei, denn wer kann es sich schon leisten, solche Objekte bar aus der Tasche zu zahlen. Da muss ein Kredit daher und das Ganze ist ja fast schon abbezahlt auf Grund der angeblich hohen Steuervergünstigungen. Wenn dann jemand in die private Insolvenz gerät, kann der Darlehensgeber die Immobilie gleich wieder weiter verwerten. Das ist die ideale Verwertungskette von Steuern. Hier verdient wieder eine kleine Gruppe und lässt sich den Markt vom Steuerzahler herrichten. Dass dem Volk dabei der Hals anschwillt ist verständlich. Das ist keine Kapitalismuskritik, der Kapitalismus als solches ist die gesunde Basis der deutschen Wirtschaft. Das ist Kritik an Absprachen und Verschiebungen in einer lokalen Region. Im Rheinland liebevoll Klüngel genannt.

Das ewige Märchen vom billigen grünen Atomstrom

Ähnlich schräg geht es bei der Laufzeitverlängerung der Atomkraft zu. Die Atomkraft als Brückentechnologie bis Wind und Sonne oder zukünftige Fusion endlich die Arbeit leisten. Die Atomkraft wird ja dann benötigt, wenn die Windräder still stehen. Das geschieht übrigens immer öfter. Windräder stehen inzwischen sogar bei guten ausreichenden Winden still. Sind denn diese Windräder alle reparaturbedürftig? Nein, sie müssen still stehen, weil Deutschland über die Atomkraft viel zu viel Strom produziert. Da man nämlich Atomkraft nicht einfach mal schnell aus und einschalten kann, kann man Atomstrom schlecht mit regenerativer Energie mixen. Ein Atomkraftwerk produziert – etwas vereinfacht – entweder seine 1400 Megawatt oder gar nichts. Zum Ein- oder Ausschalten brauchen Sie jeweils mindesten 2 Tage – nur für den Fall, dass solch ein Objekt in Ihrem Garten steht oder Sie die Anschaffung eines Reaktors planen. Windräder hingegen kann man verlangsamen oder ausschalten, ohne mit einer atomaren Katastrophe rechnen zu müssen. So sind die Atomkraftwerke in Wirklichkeit ein Hemmschuh für die Gewinnung erneuerbarer Energie.

Wiederaufbereitung auf Sibiriens Äcker

Es kommt hinzu, dass der Atomstrom der mit Abstand teuerste Strom ist, denn man produzieren kann. Dazu muss man die Gesamtrechnung aufstellen. Neben dem Betrieb gibt es Aufbau, Müllentsorgung und nachhaltige Schäden zu bezahlen. Die Anlagen sind sehr wartungs- und störungsanfällig. Im Falle einer mittelgroßen Störung muss man sogar mit Abgabe von Radioaktivität rechnen. Dies zu begrenzen und eventuell zu entsorgen kostet viel Geld. Das zahlt zwar der Steuerzahler, aber das reduziert ja nicht die Kosten. Dann irgendwann sind die Brennstäbe verbraucht und müssen erneuert werden. Teure Transporte – der Steuerzahler zahlt es – ins französische La Hague an der Küste der Normadie zur Wiederaufbereitung enden in Wirklichkeit auf einer offenen Müllkippe mitten auf wilden Äckern in der sibirischen Taiga (Atomzentrum Tomsk-7). Denn wirkliche Aufbereitung – das haben die Franzosen gelernt – funktioniert nur unter sehr hohen Kosten. Das macht man also gar nicht oder nur in seltenen Fällen, um Erfolgsbilder nach außen zu senden. Bleibt dann ab und zu das Open-Air Endlager nahe der russischen Stadt Tomsk (200 km Luftlinie nach Novosibirsk). Teure Transporte und Transportbehälter nach La Hague müssen angefertigt und transportiert werden. Dazu noch die teure und langfristige Miete in Gorleben. Alle Kosten zusammengezählt machen den Atomstrom zu einem ökonomischen Irrsinn. Hinzukommt, dass man den in großen Mengen überproduzierten Atomstrom zu Dumping-Preisen ins Ausland verkaufen muss. Es entsteht eine weitere Deckungslücke. Da aber der Steuerzahler die meisten Kosten übernimmt, zahlt es sich für die Stromwirtschaft aus. Energiequellen aus Wind und Sonne sind heute gerade Dank deutscher Ingenieursleitung kein Traum mehr sondern alltägliche kostengünstige Realität. Dieser Strom ist billig und die Herstellung nicht gefährlich. Über viele 1000 Jahre (eine Untertreibung) gefährlicher Müll entsteht auch nicht. Zusätzlich gibt es Feldversuche mit Anlagen auf Basis von VW Golf Motoren, die neben Wärme auch gleich Strom produzieren. Das Ganze führt dazu, dass irgendwann jeder seinen Strom produzieren kann und in ein gemeinschaftliches Netz einspeist. Jetzt braucht es nur noch eine Minute nachdenken und der Punkt springt um: Genau, wozu braucht es dann noch Stromriesen, wenn diese nicht mehr benötigt würden. Das Stromnetz gehört der Gemeinschaft. Der Steuerzahler hat es bezahlt und auch noch mit aufgebaut.

Das Volk lernt aus der Vergangenheit

Das der Bürger auf Basis dieses Wissens einen dicken Hals hat, kann man leicht nachvollziehen. Dazu kommen nun die Generation der Erwachsenen aus der Protestgeneration der 80er Jahre und die junge sich wieder politisierende Generation. Es bleibt zu wünschen, dass der kritische Bürger sich seinen persönlichen Protest erhält. Aus Politikverdrossenheit ist nun offener friedlicher Protest geworden. Die Montagsdemos in Leipzig 1989 als ostdeutsches Beispiel haben gezeigt: Man muss keine Gewalt anwenden, man muss einfach nur offen protestieren. Offener Protest, der auch laut sein darf. Ziviler Ungehorsam ist das Zauberwort. Natürlich drohen Regierungen immer wieder mit Strafen und Verurteilungen zu Schadensersatz. Aber eine deutsche Regierung kann es sich international nicht erlauben, dauerhaft Bilder von protestierenden Menschen über die Nachrichtensender in die Welt zu vermitteln. Bilder mit knüppelnden Polizisten ebenfalls nicht. Das macht sich nicht gut für den Standort Deutschland.

Wenn nun Politik und Regierung begreift, dass der Bürger kein Erfüllungsgehilfe für die Wahlurne ist. Dass der Bürger nicht mehr einfach duckt und den Mund hält. Dass dem Bürger es stinkt, wenn er belogen wird und das dann offen zeigt. Dass der Bürger frei, mündig und bereit ist, seine Meinung als Vorgabe für die Politik darzustellen und zu verteidigen. Erst dann kann Politik und Regierung wieder mit mehr Respekt rechnen. Wer aber so weiter macht wie Merkel, Westerwelle und dem Rest der aktuellen Regierung, der muss sich nicht wundern, dass der Protest heftiger wird. Stuttgart-21 und die Anti-Atomdemo vor den Reichstag sind ein Beginn. Der Mut der Generation Protest ist erst gerade wieder erwacht. Der Protest ist erst am Anfang seines Zeitalters.

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